Mittwoch, 26. Januar 2011

Fokus-Familienrecht - Bausteine des Unterhaltsrechts #05: Unterhaltsregress des Scheinvaters ohne vorausgegangenes Vaterschaftsverfahren

Seit In-Kraft-Treten des neuen Unterhaltsrechts am 01.01.2008 hat der BGH rund 100 Entscheidungen zum Unterhaltsrecht gefällt.
Gut 30 davon stuft Hans- Joachim Dose, stellvertretender  Vorsitzender des XII. Zivilsenats  im Rahmen seiner Fortbildungs- Seminare für Anwälte bei der Gesellschaft für Juristeninformation als besonders wichtig ein. Fokus Familienrecht stellt in  loser Folge diese gut 30 Grundsatz-Entscheidungen vor. Heute Baustein Nr. 5:


Unterhaltsregress des Scheinvaters ohne vorausgegangenes Vaterschaftsverfahren

In seiner Entscheidung XII ZR 44/06 vom 16.04.2008 schloss der BGH eine Anspruchslücke, die sich nach einer Gesetzesänderung 1998 für den Regress von Scheinvätern aufgetan hatte:

1. Der Sachverhalt

In der Ehe von Mann M und Frau F wurden drei Kinder geboren, die jedoch sämtlich (ziemlich sicher) nicht von M sondern von Lover L stammten. Folgerichtig lebte sich das Ehepaar irgendwann auseinander. M zog aus - und L zog ein. 2003 stellte das Familiengericht fest, dass M nicht der Vater der Kinder war; 2004 wurde die Ehe geschieden. M verlangt nun von L den von ihm jahrelang ohne Rechtsgrund geleisteten Unterhalt zurück, so genannter Scheinvaterregress, § 1607 III BGB.

Die Vaterschaft von L ist nicht festgestellt. Denn F leitet kein Vaterschaftsfeststellungsverfahren ein, auch nicht als Vertreterin ihrer Kinder. Auch L denkt nicht daran, ein solches Verfahren anzustrengen - es käme ihn ja auch teuer zu stehen!

2. Der Knackpunkt

M selbst kann keine Vaterschaftsklage erheben, § 1600 e I BGB a.F., jetzt § 172 FamFG. Er ist nicht "Vater" i.S.v. § 1592 BGB. Die Rechtswirkungen einer Vaterschaft können jedoch erst vom Zeitpunkt der Feststellung der Vaterschaft an geltendgemacht werden, § 1600 d IV BGB, vgl. auch BGHZ 121, 299. Deshalb ist es eigentlich unzulässig, die Vaterschaft im Rahmen eines Prozesses über den Scheinvaterregress inzident festzustellen.

F und L haben bei dieser Rechtslage also die Möglichkeit, M mit seinem Regressanspruch auflaufen zu lassen, und zwar solange, bis die Kinder volljährig sind und eventuell selbst die Vaterschaft klären lassen wollen -  aus Sicht von M eine Art "unterhaltsrechtliches Bermuda-Dreieck".
Dieses Dreieck hatte sich aufgetan, weil durch das BeistandschaftsG am 01.07.1998 die Amtspflegschaft für nichteheliche Kinder abgeschafft worden war. § 1629 BGB wurde neu gefasst. Nach II S. 3 kann der Mutter nun die Vertretung des Kindes selbst dann nicht mehr durch das Familiengericht entzogen werden, wenn die Nichterhebung einer Vaterschaft-Feststellungsklage dem Interesse des Kindes zuwiderläuft.
Bis zum 30.06.1998 hätte in dieser Fall-Konstellation aller Wahrscheinlichkeit nach das Jugendamt für die Feststellung der Vaterschaft von L gesorgt; ab dem 01.07.1998 war dieser Weg verschlossen.
  
3. Die Entscheidung des BGH


Damit war, so der BGH in seiner Pressemeldung zum Urteil "der Scheinvater faktisch der Willkür der Mutter und des wahren Erzeugers ausgeliefert und rechtlos gestellt", bliebe die Rechtsausübungssperre des § 1600 d IV BGB weiterhin uneingeschränkt bestehen. Und das war für den BGH Grund genug, diese Rechtsausübungssperre in Ausnahmefällen zu durchbrechen.
Dabei hielt das Gericht den Grundsatz hoch, dass ein Abstammungsverfahren in aller Regel notwendig ist, um dem Kind einen für und gegen alle wirkenden Status zu verschaffen und seine Zuordnung zum Vater im Sinne eines echten Verwandtschaftsverhältnisses herbeizuführen.
Der BGH sah aber auch, dass schon nach dem Wortlaut des § 1600 d IV BGB die Ausübungssperre nicht uneingeschränkt gilt ("... soweit sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt"). Durchbrechungen gibt es beispielsweise im Sozialversicherungsrecht; weitere Ausnahmen führt der BGH in Rz 14 seines Urteils auf. Schließlich stellt das am 01.04.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Klärung der Vaterschaft in § 1598 a BGB ein Verfahren zur Verfügung, dass der Klärung der Abstammung dient und es gleichwohl zulässt, die sich gegebenenfalls als unzutreffend erweisende statusrechtliche Zuordnung des Kindes unverändert zu lassen. Allerdings können auch in diesem Verfahren nur Kind und Elternverfahrensbeteiligter ein uns nicht ein Dritter (und M wäre in diesem Falle Dritter, da ja bereits festgestellt ist, dass er nicht der Vater ist).

Vor diesem Hintergrund hat der BGH sich entschieden, dass bei Sachverhalten der "Anspruchsvereitelung trotz bestehender Anspruchsnorm" (Rz. 15 des Urteils) und vor allem dann, wenn der echte Status aufgrund besonderer Umstände lange Zeit faktisch nicht festgestellt werden kann, die Rechtsausübungssperre des § 1600 d IV BGB durchbrochen werden darf. Ein solcher Fall liegt insbesondere vor ( Rz. 19 des Urteils), wenn weder die die Kinder allein vertretende Mutter noch der mögliche biologische Vater bereit sind, die Vaterschaft gerichtlich klären zu lassen - und so war es hier.


Fokus-Familienrecht Schnell-Info zum Urteil ( zum Vergrößern anklicken):



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Die bisherigen "Bausteine":
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