Dienstag, 9. August 2011

Persönliche Betreuung der Kinder durch die Eltern - Ist § 1570 BGB verfassungswidrig?


Diese Frage ist auf die aktuelle Entscheidung des BGH zu § 1570 BGB in den letzten Tagen mehrfach aufgeworfen worden, z.b. durch den Kollegen Munzinger oder in der Diskussion zu einem aktuellen Post von Hans-Otto-Burschel. Die Diskussion ist müßig, denn das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage bereits entschieden.
Im Beschluss des Ersten Senats vom 28. 2. 2007- 1 BvL 9/04BeckRS 2007, 23513, (dort Rz. 73) heißt es:
"Art. 6 II GG begründet für Eltern gleichermaßen das Recht wie die Pflicht zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Diese den Eltern zuvörderst zugewiesene Verantwortung für ihr Kind hat dessen Wohl zu dienen. Das Elternrecht ist insofern ein Recht im Interesse des Kindes (vgl. BVerfGE 75, 201). Gegen dieses Recht verstößt die in § 1615 l II Satz 3 (a.F.) BGB vorgenommene Unterhaltsregelung, die dem Elternteil eines nichtehelichen Kindes einen in der Regel auf drei Jahre begrenzten Betreuungsunterhaltsanspruch einräumt, nicht. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung sichergestellt, dass der das Kind betreuende Elternteil während der ersten drei Lebensjahre des Kindes keiner Erwerbsarbeit nachgehen muss, sondern sich dem Kinde widmen und damit seiner Elternverantwortung nachkommen kann. Die zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs auf in der Regel drei Jahre ist im Lichte des Art. 6 II GG nicht zu beanstanden."

Die Diskussion über die Verfassungskonformität des § 1570 BGB ist also "durch". Das BVerfG ist der Meinung, dass der Gesetzgeber einfach-rechtlich die Betreuungszeit der Eltern begrenzen kann.

Nur - etwas, was man kann... muss man das auch unbedingt tun? Ist es wirklich vernünftig, eine ganze Zivilgesellschaft dazu zu zwingen, Kinder ab drei Jahren, wenn irgend machbar, in Fremdbetreuung zu geben? Die Gründe, die den Gesetzgeber dazu veranlassten, waren ebenso vielfältig wie diskussionswürdig:

  • Im europäischen Ausland gibt es jede Menge Modelle, die die Eltern zu noch früherer Fremdbetreuung zwingen ( z.B. Frankreich, Schweden). Nur: Müssen wir uns wirklich danach richten? Richten wir uns denn mit unserer Wirtschaftspolitik an griechischen, portugiesischen, italienischen Maßstäben aus? Eigentlich spricht Art. 6 GG eine andere Sprache, wenn er uns auch keine zwingenden Vorschriften macht.
  • Die Zweitfamilie gehört entlastet. Mutti 1 muss möglichst schnell wieder arbeiten, damit Mutti 2 auch noch was von Pappis Einkommen hat. Nur: Mutti 2 weiss, auf was sie sich einlässt. Mutti 1 hat sich auf Pappi verlassen, und nun IST sie verlassen. Ich weiss, diese Ansicht gilt als nicht mehr sehr modern. Aber ich halte sie in einer Gesellschaft, in dem jedem eingebleut wird, dass er selber zusehen muss, wo er bleibt, für topaktuell.
  • Wir sind demographisch darauf angewiesen, dass in möglichst vielen Zweitfamilien möglichst viele Kinder gemacht werden. Daher muss Mutti 1 eingekürzt werden. Schon richtig. Das funktioniert aber nur, wenn Pappi nicht nachdenkt. Denn die Belastung, die er durch Gründung einer Zweitfamilie eingeht, ist trotz stark gekürztem Mutti1-Unterhalt für ihn immer noch wesentlichen höher, wie wenn er an weitere Kinder lieber erstmal nicht denkt. Der, der nicht gerade mit grenzenlosem Gottvertrauen ausgestattet ist ("Gibt Gott ein Häschen, dann gibt er auch ein Gräschen"), sondern stattdessen 2 und 2 zusammenzählen kann, setzt nicht grob fahrlässig so viele Nachkommen in die Welt, dass das Geld nicht mehr für alle reicht.
  • Und besonders nett, weil aus der anderen Ecke kommend: Frauen - auch getrennt lebende Mütter - sollen ihr Leben frei bestimmen dürfen. Sie sollen sich nicht hinter Kindern und in Küche und Kirche verstecken müssen bzw. von den Unterhaltszahlungen ihrer Ex-Männer abhängig sein. Daher müssen wir sie (wie heißt das auf facebook-Deutsch?) anstupsen und ins kalte Wasser werfen, damit sie gezwungenermaßen schwimmen lernen.
    Wer sieht, das aus diesem Frei-Schwimmen in aller Regel ein verzweifeltes Rudern wird, der wird die Absurdität dieses Arguments unmittelbar nachvollziehen können.
  • Undundund... Es gibt viele weitere Argumente, die aber alle ebenso diskussionswürdig sind, wie die hier beispielhaft zitierten. 
Es ist nichts Schlechtes daran, die gesetzgeberische Entscheidung noch einmal zu überdenken und sich vor allem Gedanken darüber zu machen, ob es wirklich gerecht ist, einer alleinerziehenden, voll berufstätigen Mutter zweier Kinder den folgenden Alltag aufzubürden ( zitiert nach Meier, FamRZ 2008, S. 101):

Aufstehen                  5.30 Uhr
Bereiten des Frühstücks           6.15 Uhr
Wecken, Anziehen,
Waschen der Kinder,
gemeinsames Frühstück          6.40 Uhr
Verbringen der Kinder zu
Kindergarten und Schule          7.30 Uhr
Beginn Arbeit                  8.00 Uhr
Ende Arbeit                16.30 Uhr
Abholen der Kinder von
Tageseinrichtungen            17.00 Uhr
Bereiten des Abendessens        18.30 Uhr
Kinder zu Bett bringen            20.00 Uhr
Dazwischen und danach: Einkäufe, Waschen, Bügeln, Putzen.

Wenn die Kinder erst mal zur Schule gehen, kommt die Hausaufgabenunterstützung hinzu, auch wenn der BGH meint, das würde der Nachmittags-Hort mit erledigen. Es stimmt in einer Vielzahl von Fällen einfach nicht. Mutti muss dahinter sein, sonst drehen die Kids ab.

DAS sollte Gegenstand der Diskussion sein und nicht die Frage, ob § 1570 BGB verfassungswidrig ist. Denn dieses sehend fragt sich jede vernünftige Frau, die 2 und 2 zusammenzählen kann: Tu ich mir den Karriereknick an und bekomme Kinder, auf die Gefahr hin, das alles allein ausbaden zu müssen? Was demographisch produktiv gemeint war, kann durchaus kontraproduktiv wirken.


(C) Foto: Gerd Altmann auf www.pixelio.de


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