Dienstag, 1. April 2014

OVG Lüneburg: Kosten für eine Kindertagesstätte können von der öffentlichen Hand auch für einen Zeitraum vor Antragstellung übernommen werden

Die Klägerin gab ihre Tochter ab Oktober 2010 in eine Kindertagesstätte, beantragte erst aber ab Mai 2011 rückwirkend und für die Zukunft beim Träger der Jugendhilfe Erstattung der Kosten gemäß § 90 III SGB VIII.
Die Jugendhilfe gewährte die Kostenerstattung erst ab Antragstellung, weil sie der Meinung war, der Antrag selbst sei Voraussetzung für die Kostenerstattung. Der Träger der Jugendhilfe müsse wenigstens wissen, dass ein Sachverhalt vorliege, der die Erstattung der Kosten rechtfertige. Solange er darüber nicht informiert werde, komme eine Erstattung der Kosten nicht infrage.

Dem wollte sich das OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.03.2014 - 4 LC 45/12   = BeckRS 2014, 48821 nicht anschließen:

"Die Übernahme von Teilnahmebeiträgen wie z. B. Elternbeiträgen durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe setzt nach § 90 Absatz 3 Satz 1 SGB VIII einen entsprechenden Antrag des Anspruchsberechtigten voraus („auf Antrag“). Mit dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber gegen eine antragsunabhängige, schon aufgrund der Kenntnis der Behörde von den rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs (wie etwa im früheren § BSHG § 5 BSHG) einsetzende Übernahmeverpflichtung entschieden. Bereits der Wortlaut der Vorschrift zwingt allerdings nicht zur Auslegung, dass der Antrag vor dem Beginn des Übernahmezeitraums gestellt werden muss. Der Wortlaut der Regelung zwingt nicht zu der Annahme, dass das Antragserfordernis im Sinne des § SGB_VIII § 90 Abs. SGB_VIII § 90 Absatz 3 SGB VIII als materiell-rechtliche Voraussetzung für die Leistungserbringung zu verstehen ist. Der Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass der Gesetzgeber in einer Reihe von sozialen Leistungsgesetzen geregelt hat, dass der Antrag nicht nur formell-rechtliche Bedeutung im Sinne des bloßen Auslösers eines förmlichen Verwaltungsverfahrens hat, sondern auch materiellrechtliche Bedeutung als Anspruchsvoraussetzung besitzt. Der Gesetzgeber hat in diesen Gesetzen das Entstehen eines materiellen sozialrechtlichen Anspruchs ausdrücklich von der Antragstellung selbst und den Umfang des Anspruchs vom Zeitpunkt der Antragstellung abhängig gemacht (vgl. z. B.BAFOEG § 15 Absatz 1 BAföG, § SGB_XI § 33 Abs. SGB_XI § 33 Absatz 1 Satz 2 SGB XI,  § 4 UVG). Er hat in diesen Regelungen zugleich auch bestimmt, ob eine Leistungsgewährung auch für einen Zeitraum vor Antragstellung zulässig ist (z. B. § 60 Abs. 1 Satz 2 BVG) oder ob eine gesetzliche geregelte Antragsfrist zugleich auch eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist darstellt (z. B. § 25 Absatz 2 Satz 1 WoGG). Dem Wortlaut des § 90 Absatz 3 SGB VIII ist hingegen nicht zu entnehmen, dass dort das Antragserfordernis als materiellrechtliche Voraussetzung der Leistungsgewährung ausgestaltet worden ist, da die Übernahme der Elternbeiträge nicht „ab“ Antragstellung, sondern lediglich „auf“ Antrag des Berechtigten erfolgt. Der Wortlaut der Vorschrift lässt daher auch ein Verständnis des Antragserfordernisses als bloße formelle Leistungsvoraussetzung zu, wie dies im sozialen Leistungsrecht regelmäßig der Fall ist (vgl. Mrozynski, SGB I, § 40 Rdnr. 10 m. w. N.).“


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