Sonntag, 18. Dezember 2016

BGH: Auch in Kindschaftssachen ist ein Anwaltshonorar von 25.000,00 € nicht zwingend sittenwidrig.


Oha! Gegenstandswert: 3.000,00 € - gesetzliche Gebühren bei Vergleich gerade mal 861,00 € - also das ist ja Mal ein Urteil, mit dem man sich näher befassen sollte.

Der Sachverhalt:

Die Mandanten waren Pflegeeltern und wollten mit der Mutter des Pflegekindes einerseits und dem Jugendamt andererseits bestehende Konflikte klären lassen. Sie beauftragten am 6. Oktober 2009 den beklagten Anwalt. Dieser teilte schon am 15. 10. 2009 mit, er habe inzwischen schon einen Zeitaufwand von 9 -10 Stunden gehabt und bot den Mandanten an, entweder ein Zeithonorar von 200 € pro Stunde zu vereinbaren oder aber seine gesamte Tätigkeit pauschal zu vergüten.
Ferner stellte er an diesem Tag eine Vorschussnote über Euro 2.580,00 netto. Einen am 21. 10. 2009 stattfindenden Termin vor dem Jugendamt wollte er nur wahrnehmen, wenn die Vorschusskostennote zuvor bezahlt sei.
Die Mandanten entschieden sich für die Stundenhonorarvereinbarung und zahlten den Vorschuss. Der beklagte Anwalt nahm den Termin vor dem Jugendamt wahr.
Tags darauf rechnete er den bis dahin aufgelaufener Zeitaufwand mit Euro 4.188,68 ab.
Nun entschlossen sich die Mandanten, doch das alternativ angebotene Pauschalhonorar zu vereinbaren. Die Vereinbarung kam am05. 11. 2009 zu Stande. Vereinbart wurde für die Bearbeitung "aller sich in der ersten Instanz ergebenen Sach-und Rechtsfragen"  ein Betrag von Euro 20.000,00 zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer. Für jede weitere Instanz sollte das Honorar besonders vereinbart werden.
Der beklagte Anwalt vertrat dann die Mandanten in zwei für sie erfolgreichen familienrechtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht, ferner in einer Besprechung mit dem Jugendamt und schließlich auch im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Die hierfür entstandenen gesetzlichen Gebühren ermittelte die zuständige Rechtsanwaltskammer mit Euro 3.733,03. Der Kollege stellte nach Abschluss der ersten Instanz inklusive Fahrtkosten, Auslagen und Mehrwertsteuer einen Betrag von Euro 24.581,50 in Rechnung. Diesen Betrag zahlten die Mandanten auch, verlangten ihn aber später zurück, da ihrer Ansicht nach die abgeschlossene Honorarvereinbarung wegen Wuchers nichtig gewesen sei.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth wies die Klage ab. Obwohl die Mandanten dem Anwalt danach immerhin die von der Anwaltskammer ermittelten Euro 3.733,03 zugestehen wollten und im Rahmen der Berufung ihre Forderung nur noch in Höhe des Differenzbetrag von Euro 20.848,37 weiter verfolgten, hatte auch das OLG Nürnberg mit Ihnen kein Einsehen. Es wies die Berufung zurück. Auch die Revision der Mandanten vor dem BGH hatte keinen Erfolg.

Der BGH begründete seine Entscheidung wie folgt:

1. Zunächst sei die Vereinbarung nicht wucherisch. Für den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB genügt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung allein nicht. Überdies muss der Wucherer eine in § 138 näher bestimmte Schwächesituation ausgenutzt haben. Diese ergibt sich noch nicht aus dem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.
Die typische in solchen Verhältnissen mögliche und ausnutzbare Schwächesituation beschreibt der BGH wie folgt: "Eine Zwangslage käme nur in Betracht, wenn für die Kläger wegen einer erheblichen Bedrängnis ein zwingender Bedarf nach der anwaltschaftlichen Beratung bestand. Es müssen dem Betroffenen schwere Nachteile drohen. Die Kläger behaupten aber weder, dass ihnen kein anderer Anwalt zur Verfügung stand, noch dass sie sich in einer Lage befunden hätten, in der sie das Mandat nicht kurzfristig hätten beenden können. Noch weniger zeigen die Kläger auf, dass der Beklagte eine solche Zwangslage ausgebeutet hätte."

2. Auch die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB lägen nicht vor. Die Mandanten hätten nicht vorgetragen, dass es ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gebe und ferner auch zur subjektiven Seite der Sittenwidrigkeit nichts:

a) Eine Vergütungsabrede sei sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis bestehe und weitere Umstände hinzutreten, die die Sittenwidrigkeit begründen, insbesondere eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung einer schwierigen Lage oder Unerfahrenheit für das eigene unangemessene Gewinnstreben. Dabei seien die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zugrundezulegen.

Die Beweislast trage die Partei, die sich auf Sittenwidrigkeit berufe.

Entscheidend sei der marktübliche Preis der Leistung. Allerdings spreche bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zumindest einmal eine Vermutung für ein Handeln aus verwerfliche Gesinnung. Insoweit nimmt der BGH Bezug auf die in Strafsachen bereits gefestigte Rechtsprechung (vergleiche z.B. BGH vom 4.2.2010, IX ZR 18/09): verlangt der Strafverteidiger ein Honorar, das das fünffache der gesetzlichen Gebühren überschreitet, besteht eine - vom Anwalt widerlegbare - Vermutung für ein besonders grobes Missverhältnis und für ein Handeln aus verwerfliche Gesinnung. Diese Vermutung bestehe auch im Zivilprozess.

b) Nun sei es jedoch am Mandanten, vorzutragen, welchen Preis die vom Anwalt versprochen Leistung üblicherweise im sonstigen Geschäftsverkehr zukomme. Und hier stellt der BGH fest (und dieser Satz gehört ins Poesiealbum des Gesetzgebers, wenn es daran geht, wieder einmal das RVG zu novellieren): "Die gesetzlichen Gebühren allein sind vielfach keine ausreichende Vergleichsgrundlage für ein den Schluss auf eine Sittenwidrigkeit ermöglichen des Missverhältnis, weil sie nicht in allen Fällen die marktangemessene, adäquate Vergütung für die aufgrund eines konkreten Mandats geschuldete Leistung des Anwalts abbilden sollen, sondern auf einer anderen Grundlage festgesetzt werden".

Und dann kommt's dicke:

Für sich genommen genüge auch das mehrfache Überschreiten der gesetzlichen Gebühren nicht, um den Schluss auf ein auffälliges oder gar besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ziehen zu können. Maßstab sei der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltschaftlichen Tätigkeit. Eine aufwandsangemessene Vergütung verletzt die guten Sitten nicht. Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, dass die gesetzlichen Gebühren um ein mehrfaches übersteigt, angemessen sein. Dies gelte erst recht, den sich die Gebühren der Höhe nach nach einem Gegenstandswert richten, der unabhängig von der Schwierigkeit der Sache und den erforderlichen Aufwand ist, weil das Gesetz einen Fest-oder Regelbetrag vorsieht (hier: Euro 3000,00, § 45 Abs. 1 FamGKG).

Der Mandant, der geltend machen, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig, und der sich hierzu auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung des Anwalts und vereinbartem Honorar beruft, müsse also nicht nur dartun, dass die vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren überschreitet, sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung macht angemessen ist.
Erst wenn auf dieser Grundlage feststeht, dass die versprochene Vergütung das Honorar deutlich überschreite, welches für die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach dem konkreten Mandat im Gegenzug zu leistende anwaltliche Tätigkeit objektiv angemessen ist, liege ein auffälliges Missverhältnis vor.
Und dann sei es am Anwalt, darzulegen und zu beweisen, dass und in welchem Umfang das vereinbarte Honorar für das konkrete Mandat angemessen sei.

Das Gericht habe alle für und gegen ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten honorarsprechenden Indizien im jeweiligen Einzelfall zu würdigen. Dabei komme natürlich der Höhe der gesetzlichen Gebühren eine Indizwirkung zu.
Bei Vereinbarung eines Pauschalhonorars ist im übrigen das Risiko zu berücksichtigen, ob der sich nach den versprochenen anwaltlichen Leistungen voraussichtlich unter Abwägung der mit der Pauschalierung verbundenen Risiken ergeben der hypothetischen Stundensatz Markt angemessen und üblich ist.

c) Im vorliegenden Falle sei der Anwalt zur umfassenden außergerichtlichen und erstinstanzlichen Vertretung der Kläger in allen das Pflegekind betreffenden Sachen verpflichtet gewesen. Es sei zu erwarten gewesen, dass diese Konflikte nicht ohne gerichtliche Auseinandersetzungen geklärt werden würden. Kindschaftssachen seien  - sofern sie streitig werden  - oft sachlich schwierig sowie zeit- und arbeitsintensiv;  "die gesetzlichen Gebühren sind dann angesichts des gesetzlichen Regelstreitwerts von Euro 3000,00 möglicherweise nicht kostendeckend". Im vorliegenden Falle kommt hinzu, dass die Mandanten einen Spezialisten beauftragt hätten, der weit entfernt seinen Kanzleisitz hatte und zu Terminen 8 Stunden hin-und rückreisen musste. Ferner sei bei Pauschalhonoraren immer auch zu berücksichtigen, dass auch der Anwalt eine Risiko eingehe, über den ursprünglich erwarteten Aufwand hinaus tätig werden zu müssen und hierzu keine zusätzliche Vergütung verlangen zu können.

d) Zum Abschluss der Honorarvereinbarung sei es weder durch eine Zwangslage gekommen noch habe der Anwalt die Mandanten in irgendeiner Form unter Druck gesetzt.

e) Der Anwalt müsse beweisen, dass bei einer Überschreitung des mehr als fünffachen Satzes der gesetzlichen Gebühren sein Honorar trotzdem angemessen sei. Dabei seien aber die Maßstäbe des Marktes nicht der entscheidende Bezugspunkt für die Angemessenheit. Es komme immer darauf an, ob die vereinbarte Vergütung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls angemessen sei, also unter Berücksichtigung von Schwierigkeit und Umfang der Sache, ihrer Bedeutung für den Auftraggeber und in Anbetracht des Ziels, dass der Auftraggeber anstrebe.
Zu berücksichtigen sei weiter, in welchem Umfang das Ziel durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts erreicht worden sei, wie weit also das Ergebnis tatsächlich und rechtlich als Erfolg des Rechtsanwalts anzusehen sei (eröffnet dies argumentativ den Weg zu einem Erfolgshonorar? Darüber sollte man sich bei Gelegenheit Gedanken machen).

f) Nach den Feststellungen der beiden Instanzgerichte habe der Anwalt rund 107 Stunden Arbeitsaufwand gehabt. Damit entspreche das Pauschalhonorar im wirtschaftlichen Ergebnis einem Stundenhonorar von unter 200 € netto. Damit sei ein solches Stunden Honorar nicht unangemessen hoch.

BGH v. 10.11.2016, IX ZR 119/14

Bleiben noch zwei Fragen offen:

1. Wie weist der Anwalt seinen Arbeitsaufwand nach?

Ein definitiver Nachweis ist schwer zu führen, weshalb die Gerichte es allgemein ausreichen lassen, dass der Anwalt detaillierte Stundenaufschriebe vorlegt, die den zeitlichen Umfang und den Inhalt der einzelnen Tätigkeiten wiedergeben. Diese unterliegen als private Urkunden zwar der freien Beweiswürdigung; nach der ständigen Rechtsprechung ist die Beweiswert aber nicht zu unterschätzen.
Zu den Details vergleiche Onderka: Wichtige Regeln für die Beauftragung des Rechtsanwalts
vgl. a. BGH IX ZR 18/09 v. 04.02.2010, Rz. 78
sowie: Soldan-Stiftung - Dokumentation bei Zeitvergütung, AnwBl. 2006, 654
2. Ist ein Stundensatz von 200,00 € angemessen?

Dazu Die Bundesrechtsanwaltskammer unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Hamm: 275,00 € gehen in jedem Fall!