Montag, 12. Dezember 2016

BGH watscht OLG Karlsruhe ab: "Schwerer Verfahrensfehler" im Vaterschafts-Anfechtungsverfahren.

In einem Vaterschafts-Anfechtungsverfahren hat der Anspruchsteller regelmäßig Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe; dies hat der der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2012 entschieden ( Beschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290).  Begründung: Die Folgen einer Veränderung des Personenstatus sind vielfältig und können von einem Laien normalerweise nicht vollständig überblickt werden. Außerdem ist ein Vaterschaftsgutachten eine so spezielle Lektüre, dass davon ausgegangen werden muss, dass nicht jeder Laie den Inhalt problemlos erfassen kann. Folglich benötigte Laie eine fachkundige Vertretung im Verfahren, mithin einen Rechtsanwalt und hat demzufolge - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe.

Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof jetzt auf alle Verfahrensbeteiligten erweitert (Beschluss vom 27. Januar 2016, XII ZB 639/14). Auch wenn ein Vaterschafts-Anfechtungsverfahren nicht kontradiktorisch geführt werde, also alle "an einem Strang ziehen" und das gleiche Ergebnis wollen, bedeute das nicht, dass so ein Verfahren nicht schwierig im Sinne von § 78 Abs. 2 FamFG sei. Denn die Rechtsfolgen seien für jeden Beteiligten vielschichtig. Es ändere sich nicht nur etwas am Personenstatus des Kindes, sondern auch an seiner Unterhaltsberechtigung. Falle die Vaterschaft weg, könne es z.B. sein, dass die Mutter allein unterhaltsverpflichtet werde.
Im übrigen sei es in verfahrenstechnisch komplizierten Verfahren wie bei einer Vaterschaftsanfechtung generell veranlasst, allen Beteiligten einen Rechtsanwalt beizustellen, damit - sozusagen nach dem "4-oder-mehr-Augen-Prinzip" - das Gericht vor Verfahrensfehlern bewahrt werde. ;-)

Und jetzt kommt die Watschn. Der BGH führt wörtlich aus:

"Dass im vorliegenden Fall die Sach- und Rechtslage nicht einfach und zweifelsfrei ist, zeigt sich schon daran, dass dem Amtsgericht ein schwerer Verfahrensfehler unterlaufen ist. Es hat entgegen § 172 Abs. 1 Nr. 1 FamFG das Kind nicht am Verfahren beteiligt . Die mit dem Beteiligten zu 1 verheiratete Beteiligte zu 2 war zudem entsprechend § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehindert, das Kind im Anfechtungsverfahren gesetzlich zu vertreten (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 Rn. 21). Die unterbliebene Beteiligung des Kindes schiebt den Eintritt der formellen Rechtskraft jedenfalls hinaus und sperrt insoweit etwa auch eine wirksame Anerkennung durch den leiblichen Vater (vgl. §§ 1594 Abs. 2, 1599 Abs. 1 BGB)."

Und was der BGH nicht schreibt: Das OLG hat diesen Verfahrensfehler nicht bemerkt. Mit anderen Worten: Abstammungsverfahren sind rechtlich so komplex, dass auch gut ausgebildete Schwarzröcke nicht immer alle Details absehen können, um wieviel weniger also Laien.

Als OLG kann man da nur noch den Kopf einziehen - und als Verfahrensbeteiligter kann man sich freuen: Bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen hat man immer Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe.