Montag, 12. November 2012

OLG Nürnberg: Kein "Querschussrecht" des Ehebrechers, wenn die Familie funktioniert.

Eigentlich steht's ja so schon im Gesetz: Der mutmaßliche biologische Vater (also der, mit dem die Ehefrau fremdgegangen ist) kann die Vaterschaft des rechtlichen Vaters (also des Ehemanns) zwar anfechten, allerdings so lange nicht, wie zwischen Scheinvater, Ehefrau und Kind eine sozial-familiäre Gemeinschaft besteht, § 1600 II, IV BGB. Und weiter: Auch wenn Mutter und Scheinvater inzwischen getrennt leben, bleibt es dabei, wenn vorher über längere Zeit hinweg die häusliche Gemeinschaft zwischen den dreien bestanden hat. Und schließlich: Der nichteheliche Scheinvater(also der Lover, der im guten Glauben die Vaterschaft anerkannt hat), ist in gleicher Weise geschützt.

Schon das BVerfG hatte gegen diese gesetzliche Regelung nichts einzuwenden, vgl. zuletzt BVerfG NJW 2009, 423. Der Antragsteller im vom OLG Nürnberg zu entscheidenden Fall (Az.: 11 UF 1141/12 vom 06.11.2012 = BeckRS 2012, 22634) verwies jedoch auf die Menschenrechtskonvention und zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs - allerdings ohne Erfolg. Das OLG Nürnberg urteilte:

"Die gesetzliche Regelung steht im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Antragstellers auch in Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers in § 1600 Abs. 2 und 3 BGB ausdrücklich bestätigt. Zwar hat der EGMR in Bezug auf das Umgangsrecht des leiblichen Vaters mit seinem bei den rechtlichen Eltern lebenden Kind die geltende deutsche Rechtslage beanstandet und eine Verletzung des mutmaßlichen leiblichen Vaters in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK gesehen, wenn ihm ein Umgangs- und Auskunftsrecht hinsichtlich des Kindes, das mit seiner Mutter und dem rechtlichen Vater zusammen lebt, wegen des Fehlens einer sozial-familiären Beziehung verweigert wird, ohne zu prüfen, ob der Umgang des leiblichen Vaters mit dem Kind im Einzelfall dem Kindeswohl entspricht (EGMR NJW 2012, 2781).

Der EGMR hat in zwei Entscheidungen vom 22.03.2012 (Az.: 45071/09 und 23338/09; bei Juris) jedoch klargestellt, dass es sich um ein gänzlich anderes und viel weitergehendes Ziel handelt, den Status als rechtlicher Vater eines Kindes zu erhalten und die Vaterschaft eines anderen Mannes zu beenden, als lediglich zum Zweck des Umgangs mit dem Kind die biologische Vaterschaft klären zu lassen. Es sei zwar konventionsrechtlich verpflichtend, sicherzustellen, dass der biologische Vater nicht vollständig aus dem Leben des Kindes ausgesperrt werden könne, wenn es keine einschlägigen Kindeswohlgründe dafür gebe. Aus Art. 8 EMRK könne jedoch nicht die Verpflichtung abgeleitet werden, dem biologischen Vater zu erlauben, die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten oder ein statusunabhängiges Verfahren zur Klärung der leiblichen Vaterschaft zur Verfügung zu stellen (vgl. auch die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nichtrechtlichen Vaters). Der EGMR hat in den beiden genannten Entscheidungen vom 22.03.2012 ausdrücklich betont, dass die Entscheidung, ob dem vermeintlichen biologischen Vater die Vaterschaftsanfechtung zu gestatten ist, innerhalb des staatlichen Ermessens- und Beurteilungsspielraums liegt (vgl. EGMR, Az. 23338/09 Rn. 79; Az. 45071/09 Rn. 75). "
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