Mittwoch, 21. Juni 2017
Sorgerecht und Umgang - Erst zum Jugendamt und dann erst zum Gericht?
Wer für ein Sorgerechts- oder Umgangsverfahren Verfahrenskostenhilfe möchte, sollte sicherheitshalber zunächst mal über das Jugendamt zu versuchen, mit dem anderen Elternteil eine Regelung zu erreichen. Erst wenn das fehlschlägt, kann man sicher sein, für ein Gerichtsverfahren auch Verfahrenskostenhilfe zu erhalten. Ansonsten sieht ein Teil der Obergerichte die sofortige Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe als mutwillig an und lehnt Verfahrenskostenhilfe ab.
Das OLG Frankfurt (Beschluss vom 11.4.2016 = 7 F 193/16 = Beck RS 2017, 110522) gibt einen guten Überblick darüber, welche Gerichte pingelig sind und welche großzügig. Selbst nimmt das OLG Frankfurt eine vermittelnde Position ein. Mal kann es notwendig sein, sofort zum Gericht zu gehen (insbesondere, um in Eilfällen nicht unnötig wertvolle Zeit verstreichen zu lassen), mal kann es aber auch veranlasst sein, zunächst den Weg über das Jugendamt zu gehen (z.B. wenn das mit einiger Aussicht die schnellere Lösung verheißt).
Wer unbedingt sofort zum Gericht will, sollte seine Antragsbegründung mit einem Passus versehen, in dem er erläutert, warum die sofortige Inanspruchnahme des Gerichts erforderlich ist.
Frage: Ist es notwendig, vor Einleitung eines Sorgerechts-oder Umgangsverfahrens zunächst das Jugendamt einzuschalten?
Typische juristische Antwort: Kommt drauf an...
Hier Auszüge aus der im Internet wohl nicht frei erhältlichen Entscheidung, in der der Rechtsstand zusammengefasst wird:
17 In Umgangs- und Sorgerechtssachen ist in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten, ob die Rechtsverfolgung mutwillig ist, wenn der Bedürftige vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens keinen Versuch einer außergerichtlichen Streitschlichtung unter Vermittlung des Jugendamtes unternommen hat. Letzteres wird zum Teil unter Hinweis auf die Subsidiarität und den Sozialhilfecharakter der Verfahrenskostenhilfe bejaht, so dass vom Hilfsbedürftigen immer zunächst zu verlangen sei, dass er die kostenfreien Angebote zur Erreichung seines Ziels wenigstens versuchsweise wahrgenommen habe, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nehme (OLG Köln FamRZ 2013, ; Markwardt, in: Johannsen/ Henrich, Familienrecht, 6. Auflage 2015, 1241§ ZPO 114 Rn. 28; Keuter, FamRZ 2009, 1891 f.).
Nach anderer Auffassung soll es keinesfalls mutwillig im Sinne des § ZPO 114 sein, wenn ein Elternteil das Familiengericht anruft, ohne vorher die Beratung und Hilfe des Jugendamts in Anspruch genommen zu haben, weil dies nicht vorgeschrieben sei und die Erledigung verzögere (Zimmermann, in: Keidel, FamFG, 19. Auflage 2017, § 76 Rn. 17.). Es gebe keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bemittelte Partei regelmäßig die außergerichtliche Streitschlichtung suchen werde. Es müsse deshalb grundsätzlich auch der bedürftigen Partei die Möglichkeit offen bleiben, sich nach eigenem Ermessen zwischen außergerichtlicher Streitschlichtung und gerichtlichem Verfahren zu entscheiden. Sei Letzteres gewählt, habe die Partei einen entsprechenden Rechtsgewährungsanspruch, auch wenn sie bedürftig sei (OLG Hamm FamFR 2011, 304; OLG Hamm NJW-RR 2011, 1577 II-8 WF 34/11). 03.03.2011 -
Nach einer vermittelnden Auffassung kann dem Hilfsbedürftigen zwar zunächst abverlangt werden, dass er die für ihn kostenfreien Angebote und Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes zur Erreichung seines Zieles wenigstens versuchsweise wahrnehme, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt. Nur soweit solche Bemühungen seitens des Jugendamtes bereits fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos seien, könne die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in Betracht kommen, da anderenfalls eine weitere Zeitverzögerung drohe (OLG Hamm FamRZ 2016, 1375; OLG Hamm NZFam 2015, 510; Brandenburgisches Oberlandesgericht FamRZ 2015, 1040; OLG Rostock FamFR 2011, 305; Viefhues, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Auflage 2013, § 76 Rn. 55, jeweils m.w.N.).
Nach einer anderen vermittelnden Auffassung soll es nicht grundsätzlich mutwillig sein, einen Antrag beim Familiengericht zu stellen, ohne zuvor die Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt nachgesucht zu haben. Nur wenn nach den konkreten Umständen im Einzelfall aussichtsreiche Möglichkeiten einer vorgerichtlichen Verständigung bestanden, die jedoch nicht genutzt wurden, könne die Inanspruchnahme des Familiengerichts als mutwillig angesehen werden (OLG Karlsruhe NJW 2016, 1522 20 WF 209/15 ; Hennemann, in: 07.01.2016 -Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 1684 Rn. 100).
Der Senat vertritt die Auffassung, dass es jedenfalls nicht grundsätzlich mutwillig ist, das Familiengericht ohne vorherige Inanspruchnahme des Jugendamtes anzurufen. Zwar steht den Eltern gemäß § Abs. 18 Satz 3 SGB VIII 3 ein Recht auf kostenlose Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt zu. Hieraus folgt aber keine grundsätzliche Pflicht zur vorgerichtlichen Beratung oder Streitschlichtung beim Jugendamt, bevor der mittellose Umgangsberechtigte das Familiengericht einschalten kann. Derartiges sieht das Verfahrensrecht ausdrücklich nicht vor und eine solche Pflicht ergibt sich auch nicht daraus, dass den Eltern im Rahmen ihrer elterlicher Verantwortung die Pflicht auferlegt ist, sich unter Beachtung des Kindeswohles zu einigen, § S. 2 BGB 1627 (so aber Keuter, a.a.O.). Auch für kostenarme Beteiligte besteht keine Pflicht zur außergerichtlichen Verständigung unter Aufgabe berechtigter Vorstellungen.