Montag, 25. April 2011

NJW-Herausgeber Ewer: Atom-Moratorium verfassungswidrig - Ohrfeige für die Kanzlerin.

Ein effektiver und schneller Ausstieg aus den verlängerten Laufzeiten für Deutschlands AKW ist möglich, aber das von der Regierung erklärte Moratorium ist kein Weg dorthin. Zu diesem Ergebnis kommt NJW-Herausgeber Prof. Dr. Wolfgang Ewer in seiner aktuellen Abhandlung in NJW 2011, 1182. Für das Moratorium gibt es nicht einmal eine gesetzliche Grundlage - es ist wegen des Verstoßes gegen das Gewaltenteilungsprinzip verfassungswidrig. Effektiv ist nur eine - allerdings sehr rasch mögliche - Änderung des Atomgesetzes.
Zusammen mit Dr. Alexander Behnsen arbeitet Prof. Dr. Wolfgang Ewer die Rechtslage kurz und bündig auf. Ewer, Herausgeber der NJW und des deutschen Verwaltungsblattes, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Präsident des Deutschen Anwaltvereins und Honorarprofessor für öffentliches Recht in Kiel stellt fest, dass es für das von der Regierung verkündete dreimonatige Moratorium "nicht einmal im Ansatz eine Rechtsgrundlage" gibt. Es kann insbesondere nicht, wie von der Regierung behauptet, auf § 19 III 2 Nr. 3 AtG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift sind Maßnahmen nur möglich, wenn auf der Basis neuer Erkenntnisse die Sicherheit eines einzelnen AKW zweifelhaft wird, nicht aber, wenn - wie vorliegend - altbekannte Tatsachen neu bewertet werden  und zu einer Neueinschätzung der Risiken aller AKW führen.
Als das 11. Änderungsgesetz zum AtG am 20.10.10 verabschiedet wurde, war aber bereits allgemein bekannt, dass eine mehrfach abgesicherte interne Stromversorgung für die Kühlung eines Reaktors und damit für die Verhinderung einer Kernschmelze von erheblicher Bedeutung ist. An dieser Erkenntnis hat sich inzwischen nichts geändert. Auch das Risiko des Ausfalls dieser Stromversorgung hat sich nicht erhöht. Man ist sich dieses Risikos jetzt nur stärker bewußt und will es nicht mehr - wie noch bei Verabschiedung des Laufzeitänderungsgesetzes - einfach vernachlässigen.
Nun aber einfach den Vollzug des Laufzeitänderungsgesetzes drei Monate auf dem Verwaltungswege" auszusetzen", ist aber die falsche, weil verfassungswidrige Reaktion: Denn ist bei der Verabschiedung eines Gesetzes ein Risiko falsch eingeschätzt worden, hilft dagegen nur die Änderung des Gesetzes und nicht dessen "Aussetzung".
Die Aussetzung einer gesetzlichen Regelung ist rechtsstaatlich problematisch. Das war schon die Aussetzung des Vollzugs der gesetzlichen Wehrpflicht, und es ist jetzt auch die Aussetzung des Vollzugs des AtG. Die Regierung ist als Exekutivorgan an Parlamentsgesetze gebunden, Art 20 III GG. Sie hat mithin kein Recht, sich über Entscheidungen des Gesetzgebers einfach hinweg zu setzen und schlicht zu erklären, man wolle ein Gesetz vorerst nicht anwenden. Tut sie es doch, gibt sie damit zu verstehen, dass sie sich an geltendes Recht nicht gebunden fühlt und offenbar meint, Entscheidungen nicht auf gesetzlicher Basis treffen zu müssen."Aussetzungen" oder "Moratorien" geltenden Rechts stellen daher einen Verstoß gegen die Verfassung, nämlich das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 III GG dar.
Das stört zwar im Moment nur wenige, denn die Gesetze die da derzeit höchst öffentlichkeitswirksam einfach "ausgesetzt" werden, befassen sich mit Dingen, die der Bürger am liebsten einfach aus seinem Bewußtsein streichen würde: Je eher Kernkraft und Wehrpflicht der Vergangenheit angehören, desto besser. Auf Dauer droht jedoch in der Bevölkerung eine Erosion des Rechtsbewusstseins über das Bestehen und die Bedeutung der Gewaltenteilung und damit eines elemanteren Bestandteil des demokratischen Verfassungsstaats.

Wenn die allgemein hinnehmbare Riskoschwelle beim  Umgang mit Atomenergie neu justiert werden soll, dann ist das nur durch eine Gesetzesänderung möglich - eine Aufgabe, die allein dem Parlament als Gesetzgeber und nicht der Regierung als Organ der vollziehenden Gewalt obliegt. Und der Gesetzgeber kann die Erkenntnis, dass auch eine mehrfach gesicherte interne Stromversorgung - aus welchen Gründen auch immer - ausfallen kann, durchaus zum Anlass nehmen, die Anforderungen an das hinzunehmende Restrisiko, vulgo den Sicherheitsstandard zu erhöhen. Dazu wird er - auch unter Berücksichtigung der Betreiber-Belange -  in großem Umfang berechtigt sein. Da der Betrieb von Atomkraftwerken situationsgebunden extrem großen Risiken unterliegt, werden die Betreiber solche gesetzgeberischen Maßnahmen auch weithin entschädigungslos hinnehmen müssen, so Ewer/Behnsen in der NJW.
Die Erfahrungen bei der Bewältigung der Finanzkrise haben gezeigt, dass bei akutem Handlungsbedarf ein Bundesgesetz selbst mit Bundesratsbeteiligung innerhalb einer Zeitspanne von nur wenig mehr als einer Woche erlassen und in Kraft gesetzt werden kann. Das Gleiche wäre auch möglich, wenn es gilt, die Bevölkerung vor den Risiken der Kernkraft zu schützen.
Es obliegt der Regierung, eine entsprechende Gesetzesvorlage in den Bundestag einzubringen, Art. 76 I GG. Durch rasches Tätigwerden würde die Bundesregierung überdies einen Betrag zur politischen Glaubwürdigkeit leisten.
Warum das nicht geschieht und die Sache stattdessen auf  eine Bank von dreimonatiger Länge geschoben wird - das darf angesichts mehrerer anstehender Landtagswahlen einerseits und angesichts der von RWE gegen die rechtswidrige Maßnahme bereits erhobenen Klage andererseits mit Fug und Recht gefragt werden - meint Schreiber dieses...

Update 27.04.2011: Nachdem dieser Artikel aus aktuellem Anlass von vielen Lesern von http://www.juraexamen.info auch zum Zwecke der Examensvorbereitung genutzt wird ( wow!!), hier die pdf-Version zum Herunterladen :-)
Danke an Simon Kohm für den Link.

Siehe auch Thema des Bayern-Abiturs 2010 - Die Vorteile japanischer Atomkraftwerke in Küstennähe(!!?) auf diesem Blog