Kaum zu glauben, was das "SZ-Magazin" der Süddeutschen Zeitung heute berichtet: Im Fach Geografie wurde im Abitur 2010 nach den Vorteilen der Lage von Atomkraftwerken an Japans Küsten gefragt. Die Fragestellung im Zentral-Abitur war die folgende:
"Im Rahmen des Ausbaus der Energieerzeugung aus Kernkraft wurde beschlossen, die japanischen Kernkraftwerke an den Küsten, jedoch in Entfernung zu den großen Verdichtungsräumen zu errichten. Begründen Sie diese Entscheidung und stellen sie positive Effekte für die Entwicklung der räumlichen Strukturen an diesen Standorten dar."
Die Musterlösung des bayerischen Kultusministeriums behandelt Kernkraftwerke wie jeden anderen Gewerbebetrieb: Die positiven Effekte liegen also vor allem im Bereich der regionalen Energieversorgung, der Schaffung sicherer Arbeitsplätze in strukturschwachen Gebieten, der verminderten Abwanderung, der infrastrukturellen Erschließung etc. Nur in einem Nebensatz wird - als weiterer Vorteil(!) - die "Verringerung des Gefahrenpotenzials bei Unfällen" durch die abseitige Lage gepriesen.
Die Antworten der Abiturienten zeigen, dass sie einerseits über die Gefahren und andererseits über die Skrupellosigkeit der Betreiber wohl besser informiert waren als das Ministerium. Hier eine Auswahl aus den von der Süddeutschen Zeitung zitierten Arbeiten:
"Allerdings sind Kernkraftwerke vor allem an der Ostküste der Insel mit erheblichen Risiken verbunden, da hier die pazifische auf die chinesische Platte trifft und deswegen die Gefahr von Erdbeben beziehungsweise Vulkanismus sehr groß ist; außerdem ist die Gefahr von Tsunamis an der Küste natürlich nicht zu unterschätzen. Deswegen müssen sich diese Kernkraftwerke in einiger Entfernung zu den Küstenstädten befinden, da die Gefahr eines Unfalls hoch ist."
"Falls es zu einem GAU kommen würde, ist die Bevölkerung nicht geschützt, wenn sie 20 km entfernt lebt. Doch für die Bevölkerung ist es ein Gefühl der Sicherheit, wenn das Kraftwerk nicht neben ihnen steht."
"Auch ist durch die Lage an der Küste für Unternehmen, die weniger Wert auf die Umwelt legen, das Meer eine schnelle und einfache Methode zur Abfallentsorgung."
"Zudem ist das Problem der Endlagerung auch nicht mehr so groß, da der radioaktive Müll in Meerestiefen versenkt werden kann und kein langer Castor-Transport über Land nötig ist."
Da fragt man sich doch: Wenn der durchschnittliche Bayern-Abiturient schon im Mai 2010 so derart hellsichtig war, wie konnte der durchschnittliche schwarzgelbe Koalitionär dann im Herbst 2010 der Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Meiler so problemlos zustimmen?
Und gibt es jetzt wirklich einen "Prozess des Umdenkens", oder ist unsere Regierung in etwa so glaubwürdig wie der Schüler, der beim Spicken erwischt wird und hoch und heilig gelobt, es "nie wieder zu tun"?
Ich denke, wir haben einen Sommer vor uns, der durch einen ebenso spannenden wie lächerlichen Eiertanz ums Atom geprägt sein wird. Gut, dass wir noch ein paar Landtagswahlen vor uns haben, sonst wäre das Thema schon lange wieder totgeschwiegen.
(c) Foto: bagalute (Björn Schwarz) auf www.pixelio.de
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