Mit Verlaub gesagt: Diesen Zusammenhang herzustellen, ist relativ kühn. Aber es soll ja auch Leute geben, die den Geburtenrückgang in Deutschland darauf zurückführen, dass die Population der Störche in gleicher Weise abnimmt. Diese Art naiven Denkens unterstelle ich dem Kammergericht nicht. Ich gestatte mir aber, den Blick auf das Wesentliche und vor allem auf die Fakten zu lenken:
In dem zur Entscheidung stehenden Fall ( FamRZ 2011, 825) ging es darum, dass der Vater auf Übernachtung während des Umgangs klagte und die Mutter dies mit recht wackeligen Argumenten und Rundumschlägen zu verhindern suchte: Der "kalte Zigarettenrauch" - Sie erinnern sich? Wir berichteten hier. Das Kammergericht mag sich vor Augen halten, welchen Arbeitsaufwand der/die die Mutter vertretende Kollege/Kollegin wohl in etwa hatte:
- Die Mutter erscheint nach Terminsvereinbarung in der Kanzlei und hat den Schriftsatz des Vaters in Hand. Sie regt sich entsetzlich auf und muss zunächst einmal beruhigt werden. Das dauert 15 Minuten.
- Daran schließt sich ein Sachgespräch an, indem der Anwalt versucht, herauszufinden, welche Argumente gegen die Übernachtung der Kinder beim Vater sprechen. Es stellt sich heraus, dass es wenig stichhaltige Argumente dafür gibt, und das sagt der Anwalt der Mutter auch. Die Diskussion, was von den Argumenten brauchbar ist und was nicht, dauert 45 Minuten, den Erwiderungsschriftsatz zu verfassen, weitere 30 Minuten.
- Die Mutter wird sich nun klar darüber, dass sie schlechte Karten hat. Sie telefoniert den Vermieter des Vaters und das JobCenter ab und besucht den Anwalt ein weiteres Mal, damit dieser einen Schriftsatz macht, aus dem hervorgeht, dass der Vater keine größere Wohnung wird auftreiben können. Gespräch und Schriftsatz kosten den Anwalt weitere 30 Minuten.
- Dann kommt der Gerichtstermin, in dem beide Parteien ausführlich vernommen werden und (vermutlich in Abwesenheit der Parteien, die derweil samt Anwälten auf dem Gang warten) auch die beiden Kinder. Anfahrt mitgerechnet dauert der Spaß für den Anwalt etwa 120 Minuten.
- Dann kommt das Urteil. Der Anwalt arbeitet es durch und verfasst eine Einschätzung, inwieweit ein Rechtsmittel erfolgreich sein könnte: 30 Minuten.
- Als Nächstes ruft eine zutiefst erboste Mandantin an, die am Telefon etwa 15 Minuten Dampf ablässt. Der Anwalt holt sie herunter und vereinbart einen weiteren Besprechungstermin mit ihr.
- In diesem Termin muss er sich zunächst anhören, in welchem "Sch...-Staat" wir hier eigentlich leben und ob die Richter überhaupt einen blassen Schimmer haben, wie es im Leben so läuft. Die ersten 20 Minuten des Gesprächs ist er damit befasst, den Rechtsstaat und das Gericht zu verteidigen und die Mandantin einigermaßen zur Ordnung zu bringen, damit die Möglichkeiten eines Rechtsmittels besprochen werden können. Anschließend werden alle Argumente noch einmal durchgekaut. Es stellt sich leider heraus, dass nur die erstinstanzlichen Argumente wiederholt werden können. Das kostet noch einmal 30 Minuten.
- Anschließend rauscht die immer noch unter Dampf stehende Mandantin ab und lässt den Anwalt mit dem unangenehmen Auftrag allein, eine Beschwerde zu verfassen, ohne neue Argumente zu haben; diese Beschwerde ringt er sich in weiteren 20 Minuten von der Seele.
- Und das war's dann. Das Kammergericht verhandelt selbst nicht mehr zur Sache, weil es die Parteien nicht hören will, denn das würde ja doch nichts bringen (so jedenfalls steht es im Beschluss). Derlei unnütze Tätigkeiten überlässt es den Advokaten, nicht ohne dafür zu sorgen, dass diese dafür noch kärglicher als üblich bezahlt werden. Zum Schluss muss lediglich noch der Beschwerdebeschluss weitergeleitet werden, was ärgstensfalls auch der Sekretärin überlassen werden kann. Denn weiteres persönliches Engagement ist hier für die Katz - diese Mandantin kommt eh nicht mehr.
Fazit: 365 Minuten oder 6 Stunden und 5 Minuten hat der Anwalt investiert. Bei einem Gegenstandswert von € 2.000,00 fallen in erster Instanz netto Gebühren von € 332,50 und in 2. Instanz von 212,80, insgesamt also 545,30 an. Stundensatz € 89,60. Davon kann der Anwalt, selbst wenn er im Glasscherbenviertel in einem umgebauten Stehausschank residiert, nicht leben, sondern nur stilvoll Pleite gehen.
Aber das Kammergericht weist uns ja bereits den Weg, wie wir Abhilfe schaffen können. Wenn es ihm wesentlich um die Länge der Schriftsätze geht, kann hier leicht nachgebessert werden. Wozu gibt es Computer und Baustein-Systeme? Wenn sich die Einsicht, dass Substantielles auch in Kürze gesagt werden kann, beim Kammergericht nicht durchsetzen kann, sollten wir hier ansetzen:
Gerade in Umgangssachen, in denen eigentlich schon alles gesagt ist, machen sich Ausführungen zur Rechtslage, die im Prinzip jeder kennt und keiner liest, sehr gut. In direkter Nachbarschaft der hier gegenständlichen Kammergerichts-Entscheidung findet sich in der FamRZ (2011, 824) ein Beschluss des OLG Saarbrücken, indem das sehr anschaulich vorgeführt wird. Ich gestatte mir, diesen Beschluss weitgehend zu zitieren und daraus zwei "Füll-Bausteine" zu basteln, mit denen man den Umfang seiner Umgangs-Schriftsätze in der vom Kammergericht gewünschten Weise erweitern kann (alle übrigen Gerichte sollte man damit bitte verschonen - sie haben genug zu tun!). Damit wird zwar die Gerichtsakte dicker und die Arbeit für alle umständlicher, aber wenn's denn sein muss, damit die Gebühren anfallen - sei's drum.
Ach Übrigens: Man könnte hier natürlich auch auf die Idee kommen, der Anwalt hätte der Mandantin ja gleich zum Anerkenntnis raten können. Dann wäre ihm ein Haufen Zeit und der Staatskasse ein Haufen Kosten erspart geblieben. Wer so argumentiert, übersieht, dass es immer auch anders lautende Rechtsprechung gibt. Es gibt z.B. genügend Instanzgerichte, die die Ansicht vertreten, die Übernachtung zweier Kinder mit Papa zusammen in einem Ein-Zimmer-Appartment sei den Kindern unzumutbar, insbesondere, wenn die Kinder kein eigenes Bett hätten. Der Anwalt, der ordentlich vertreten will, muss diese andere Meinung in erster Instanz vortragen und im Fall des Unterliegens auf Wunsch der Mandantschaft auch die Beschwerde durchführen.
Denn vorher weiss man ja nie, wie's nachher ausgeht. Vor Gericht und auf hoher See...
Füll-Baustein Umgang - nach OLG Saarbrücken
Füll-Baustein Ferienregelung - nach OLG Saarbrücken
(c) Foto: Rita Gäbel auf www.pixelio.de
Werden eigentlich den Mitgliedern der Strafsenate beim Kammergericht die Gehälter gekürzt, wenn sie eine Revision/Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen haben, die Revisionsschrift 50 Seiten umfaßt und die Verwerfung ausschließlich aus fünf Worten?
AntwortenLöschen