Das BVerfG weisst darauf hin, dass auch nach der Unterhaltsreform die Höhe des Ehegattenunterhalts vierstufig zu ermitteln ist. Zunächst ist der Bedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten zu ermitteln, anschließend die Frage zu klären, ob er bedürftig ist, dann weiter, ob der in Anspruch genommene auch leistungsfähig ist und in einem vierten Schritt schließlich, ob diese Leistungsfähigkeit auch noch angesichts der Ansprüche weiterer Unterhaltsberechtigter im vollen Umfang besteht ( Verteilung im Mangelfall).
Grundsätzlich wird der nacheheliche Unterhalt - solange nicht § 1578 b BGB eine Herabsetzung vom eheangemessenen auf den angemessenen Bedarf gebietet - auch nach der Reform auf der Basis der Verhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung ermittelt. Danach eingetretene Veränderungen sind nur ausnahmsweise zu berücksichtigen, wenn sie
- entweder im Zeitpunkt der Scheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren und dies Erwartung die ehelichen Lebensverhältnisse bereits geprägt hatte;
- oder aber die Änderungen stellten das Surrogat einer zuvor erbrachten Haushaltsführung dar.
Von diesem Ermittlungs-Schema sei der Gesetzgeber - so das BVerfG - auch bei der Reform von 2007 nicht abgewichen. Zwar habe er ersichtlich die Zweitfamilien finanziell entlasten wollen, hierfür aber einerseits verschärfte Anforderungen an die Verpflichtung der geschiedenen Ehefrau zur Erwerbstätigkeit normiert ( geänderter § 1570 BGB) und andererseits die Möglichkeit der Begrenzung aller Unterhaltsansprüche geschaffen, in dem er § 1578 b BGB ins Gesetz eingefügt habe. Mehr habe der Gesetzgeber ersichtlich zur Entlastung der Zweitfamilien nicht tun wollen. Im Übrigen habe es beim Schutz der geschiedenen Ehefrau bleiben sollen.
Diesen Willen des Gesetzgebers habe der BGH jedoch mit seiner Lehre von den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen in Kombination mit der Dreiteilungsmethode unterlaufen:
- Er definiere nicht nur den Bedarf des geschiedenen Ehegatten anders, als das Gesetz das wolle ( § 1578 I 1 BGB: "...bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen"), in dem er eben diese "ehelichen Lebensverhältnisse" plötzlich "wandelbar" mache.
- Hinzu komme, dass er die Prüfungsschritte eins ( Bedarf) und drei (Leistungsfähigkeit) zusammenziehe. Der Gesetzgeber habe gewollt, dass der Umstand, dass der Unterhaltspflichtige noch anderen Personen Unterhalt leisten müsse, nur bei der Leistungsfähigkeit bzw. im Rahmen der Verteilung nach § 1609 BGB berücksichtigt werde. Nun ziehe der BGH die Berücksichtigung dieses Umstands in die Bedarfsermittlung vor.
- Plötzlich bestimme sich der eheliche Bedarf nicht mehr nach den ehelichen Verhältnissen, sondern nach durch Scheidung und Wiederheirat gewandelten, also nicht mehr wirklich "ehelichen" Verhältnissen.
- Überdies werde das, was sich nach den ehelichen Verhältnissen "im Topf" befinde, nicht mehr durch zwei geteilt; es werde das, was die neue Ehefrau einbringe, mit dazugeworfen und das Ganze durch drei geteilt - allerdings auch nur, wenn die geschiedene Frau dadurch höchstens das Gleiche bekomme, wie wenn die neue Frau nicht da wäre.
Die Lehre von den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen in Kombination mit der Dreiteilung läuft damit nach dem BVerfG darauf hinaus, dass die geschiedene Ehefrau über den Willen des Gesetzgebers zur Entlastung der Zweitfamilien hinaus zugunsten der Zweitfamilie in aller Regel eine weitere Kürzung ihres Unterhaltsanspruchs hinnehmen muss, nur selten aufs gleiche Ergebnis kommt und nie besser fahren kann.
Deshalb hat das BVerfG die Uhren zurückgedreht. Der Unterhalt der geschiedenen Ehefrau wird ab jetzt wieder nach der Methode ermittelt werden müssen, die vor der Entscheidung des BGH vom 06.02.2008 = Az. XII ZR 14/06 galt, vgl. z.B. BGH v. 25.11.98 = XII ZR 98/97 = FamRZ 1999, 367, 368 f. Der Umstand, dass der Unterhaltsverpflichtete auch einer aktuellen Ehefrau Unterhalt zu leisten hat, ist daher nun wieder erst beim dritten Prüfungsschritt - Leistungsfähigkeit - zu berücksichtigen.
Fazit:
- Das BVerfG "kippt" also keinesfalls die gesamte Unterhaltsreform, wie am Wochenende vereinzelt befürchtet wurde.
- Es korrigiert nur eine stark an der Praxis orientierte, wohl aber tatsächlich übers Ziel hinausschießende Rechtsprechung des BGH, die auch innerhalb des XII. Senats nicht unumstritten war ( vgl. Weber- Monecke, in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl.2010, § 1361 Rz. 14 f.).
- Unabhängig davon, dass man das Urteil durchaus begrüßen kann: Ob die Bemerkung in Urteil und Pressemeldung, der BGH habe sich vom Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts gelöst und durch "eigene Gerechtigkeitsvorstellungen" ersetzt, so hätte sein müssen, steht auf einem anderen Blatt. Denn wenn man die Sache wirklich so sehen würde, wäre der Weg zum § 339 StGB nicht mehr weit. Starker Tobak!
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