Montag, 28. Februar 2011

BGH: Der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialleistungsbeziehers ist grundsätzlich nicht sittenwidrig.

Wie schütze ich mein Vermögen vor der Sozialhilfe? Diese Frage stellen sich viele Eltern behinderter Kinder, die Sozialleistungen beziehen. Zu Lebenzeiten stellt die Sache kein großes Problem dar - denn der Unterhaltsanspruch der Kinder gegen die Eltern geht nur in ganz geringem Umfang auf den Sozialleistungsträger über, § 94 II SGB XII. Was aber, wenn einer der Eltern stirbt?
Dann erbt das Kind, ist plötzlich vermögend und muss dieses Vermögen auch einsetzen, bevor es sich wieder an den Tropf der öffentlichen Kassen hängen darf, sog. Nachrang der Sozialhilfe. Dem versuchen viele damit zu begegnen, dass sie das behinderte Kind testamentarisch von der Erbfolge ausschließen und es zugleich auch auf den Pflichtteil verzichten lassen. Einen solchen Sachverhalt hatte der BGH in seinem Urteil vom 19.01.2011, Az. IV ZR 7/10 zu entscheiden:
"Am 6. November 2006 errichteten der Beklagte und seine Ehefrau ein notarielles gemeinschaftliches Testament. Darin setzten sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben ein. Schlusserben sollten die drei gemeinsamen Kinder sein, von denen eine Tochter unter einer Lernbehinderung leidet, jedoch nicht unter gerichtlicher Betreuung steht und auch nicht in der Geschäftsfähigkeit eingeschränkt ist..." ( folgen Regelungen für den Tod des Letztversterbenden - nicht befreite Vorerbschaft des behinderten Kindes mit Testamentsvollstreckung durch eines seiner Geschwister) "... Im Anschluss an die Beurkundung des Testaments verzichteten die drei Kinder in notarieller Form auf ihren jeweiligen Pflichtteil nach dem Erstversterbenden. Noch im Laufe des Abends des 6. November 2006 verstarb die Ehefrau des Beklagten."

Den Pflichtteilsverzicht hielt der Sozialversicherungsträger, der seit 1992 Sozialleistungen für das Kind erbrachte, für unwirksam. Der Versicht sei nur deshalb erklärt worden, um den Nachrang der Sozialhilfe zu unterlaufen und das Familienvermögen zu Lasten der Allgemeinheit vor einer Haftung für den Bedarf des behinderten Kindes zu bewahren.

Dem widersprach der BGH. Er führte im Anschluss an seine bereits gefestigte Rechtsprechung zum Behindertentestament, vgl. nur BGH, Urt. v. 21.3.1990, Az IV ZR 169/89 aus, bei Leistungen für behinderte Kinder sei der Nachrang der Sozialhilfe so schwach ausgeprägt, dass die Testierfreiheit den Vorrang haben müsse. Bei Leistungen für behinderte Menschen sei der Einsatz des Vermögens durch das Gesetz auf das Zumutbare beschränkt. Die Überleitung von Unterhaltsansprüchen, insbesondere gegen die Eltern des behinderten Kindes, sei nur - s.o. - in sehr beschränkten Umfang möglich.
Im Umkehrschluss müsse es auch eine "negative Erbfreiheit" geben, deren Inanspruchnahme nicht sittenwidrig sein könne. Niemand könne gezwungen werden, zu erben. Art 6 GG gebiete es im Übrigen auch, die familiäre Solidarität zu berücksichtigen. Hätte die behinderte Tochter auf ihren Pflichtteil nicht verzichtet, hätte sie der erklärten Interessenlage der gesamten Familie zuwider gehandelt.

Dieses Urteil stellt zunächst einmal einen Befreiungsschlag dar, soweit es um die Sicherung von Familienvermögen geht. Ob das aber von Dauer sein wird, muss sich erst noch zeigen. Denn der Gesetzgeber hat schon öfters mit Gesetzeskorrekturen den Zugriff der Sozialversicherungsträger im Wege des Regresses erleichtert - schon um die leeren Kassen zu schonen. Dementsprechend kritisch zu diesem Urteil äußert sich den auch Dillmann in der Legal Tribune Online. Mit Urteilen wie diesem werde der Nachrang der Sozialhilfe komplett unterlaufen. Er ruft nach einer Gesetzesänderung. Ob sie kommt? Wir werden sehen...

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(C) Foto Gerd Altmann auf www.pixelio.de