Mittwoch, 27. Juli 2011

Zug überrollt Lebensmüden - Schmerzensgeld für den Lokführer!

Mehrere Hundert Menschen werfen sich jedes Jahr vor einen Zug, um ihrem Leben ein Ende zu machen, berichtet heute die Süddeutsche Zeitung, und nun geht ein Lokführer, der selbst einen dieser Lebensmüden überfahren hat her und verlangt Schmerzensgeld von den Hinterbliebenen des Getöteten. Ein unerhörter Vorgang? Ein Präzedenzfall, wie die Süddeutsche tituliert?


Nichts von beidem! In München sind solche "Unfälle" bedingt durch das hier vorhandene dichte S-Bahn-System zwar nicht an der Tagesordnung, aber doch häufig. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass es im Berufsverkehr "wegen eines Notarzteinsatzes" auf der Stammstrecke zu erheblichen Verzögerungen kommt.

Für die Lokführer ist das nicht einfach. Es kann jederzeit passieren, und sie sind machtlos. Wenn es passiert, sind die psychischen Belastungen erheblich, der Fahrdienst im S-Bahn-Betrieb eine Zeitlang nicht mehr möglich. Nach pyschotherapeutischer Betreuung werden die betroffenen Lokführer eine Zeitlang nicht mehr im S-Bahn-Tunnel eingesetzt, sondern im Rangierdienst, was zu erheblichen Einkommenseinbußen führt. Und die S-Bahn-München GmbH rät ihren Fahrern, diese Einbuße und eine Entschädigung für ihre psychische Beeinträchtigung auch geltend zu machen.

Ich war in der näheren Vergangenheit zweimal damit befasst, solche Ansprüche zu verfolgen. In beiden Fällen war der Getötete Gott sei Dank privat haftpflichtversichert, so dass die Ansprüche nicht gegen die Hinterbliebenen direkt gerichtet werden mussten. Beides Mal kam es nicht zu einem Gerichtsverfahren, im ersten Fall reichte die Einreichung der Klage aus, um die Versicherung zur Einigung zu bewegen, im zweiten Fall wurde die Sache im Vorfeld erledigt, so dass die Erledigung im Prozess selbst im Nürnberger Fall, von dem die Süddeutsche Zeitung berichtet, tatsächlich einen Präzedenzfall darstellen mag.

Rechtlich problematisch ist die Geltendmachung der Ansprüche eigentlich nicht, es handelt sich um einen schlichten Anspruch nach §§ 823, 253 II BGB. Die Versicherungen versuchen im Verhandlungsstadium nur, sich hinter der Tatsache zu verstecken, dass der, der sich umbringen wolle, sich angeblich immer in einem  die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinde und daher für die Folgen seiner Tat nicht hafte, § 827 BGB. Abgesehen davon, dass dies die Versicherung beweisen müsste (vgl. Palandt, § 827, Rz. 3), besteht die ziemlich einhellige Meinung, dass der Freitod fast immer eine sehr bewußte Angelegenheit ist, so dass dieser Einwand doch recht einfach widerlegt werden kann.

Wer auch immer in Nürnberg das Verfahren betreibt: Er sollte davon ausgehen, dass seinem Mandanten ganz normale Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zustehen und sich durch die - zugegebenermaßen bedrückenden - Umstände, unter denen der Anspruch geltend gemacht wird, nicht beeindrucken lassen.

(C) Foto Lutz Stallknecht auf www.pixelio.de